ohne Arbeit
Bis jetzt habe ich in diesem Jahr drei ostdeutsche Städte besucht, in denen ich vorher noch nie war. Aktuellstes Ziel: Impi in Rostock!
Ich schlief in einem Original-Plattenbau, frühstückte mit blutjungen Bachelor-StudentInnen, wurde durch Rostocks herzige und wirklich hübsche Innenstadt geführt, betrank mich mit Rotwein und besuchte eine geschlagene halbe Stunde lang Warnemünde (länger musste auch nicht sein, wegen des dollen Windes und der kalten Temperaturen bekam ich Ohrenschmerzen, aber es ist hübscher als Sylt!). Ich freue mich auf einen Wiederholungsbesuch im Sommer! Danke an den wundervollen Gastgeber! Dessen Gesellschaft trotz aller Höhepunkte das Beste an dem Besuch war. Inklusive Gespräche über dies und das; Quatsch und Ernst, Gefühle und Fakten, Mikro- und Makrogesellschaft, die werten gemeinsamen Freunde und Feinde, Sport und dessen Ablehnung und so weiter und so fort.
Eines habe ich an diesem Wochenende noch gelernt: an der Elbe zu joggen macht mehr her als in Parkanlagen an Popp-Punkten vorbei (ich berichtete). Und WG-Frühstücke sind besonders nett, wenn endlich der langjährige Ex-Mitbewohner wieder zur WG gehört. Jetzt muss ich diesen nur noch zum Joggen bewegen...
sakra - 14. Mär, 14:31
Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!
Genauer gesagt nach Potsdam, aber ich freue mich sehr auf den Besuch meiner Lieblings-FSJKlerin. So haben wir uns kennengelernt: in einem kleinen Büro in einem großen Haus in einer damals noch positiv betrachteten feministischen Einrichtung. Ich Praktikantin, sie FSJKlerin, wir hatten beide unseren ersten Tag, wurden an zwei sich gegenüberstehende Schreibtische gesetzt und starrten uns so neutral wie möglich an. Jetzt ist sie Studentin in Potsdam und ich Referentin - ja, aus uns ist schon was geworden!
Das heißt, wir werden zwei Tage lang wissenschaftlich arbeiten und diskutieren. Der Gender Blickwinkel wird praktisch erprobt bei vielfältigen Tests: kochen, Berlin unsicher machen, vielleicht mal bei Sanssouci rumschauen, Bundesliga bejubeln, Kaffee trinken, durch Schnee stapfen, Party machen. Sicherlich werden dabei ganz neue Erkenntnisse entstehen, die danach in ein noch zu definierendes wissenschaftliches Projekt einfließen werden. Das ist moderner Feminismus!
sakra - 29. Jan, 10:33
Merke: Wenn zwei Ex-Call-Center-Mitarbeiter sich das erste Mal treffen, dann kann das in den Kampf der Gesprächsführung-Geschulten ausarten. Zu Hülf.
Solche Dinge finde ich bei verschiedenen Gelegenheiten ganz hilfreich, wenn man sich in schwierigen Situationen befindet. Aber wenn das Gegenüber sofort ebenfalls Fragetechniken aus den Deeskalationsschulungen anwendet, die man gemeinsam absolviert hat, wird es leicht absurd.
Na ja, nachdem dann die Machtverhältnisse am Kickertisch ohne Salcus-Eintrag geklärt worden sind, war auch eine normale Unterhaltung möglich.
sakra - 27. Dez, 19:37
Als ich noch der Kaste der Arbeitslosen angehörte, habe ich auch mit etwas dubiosen Methoden der Geldbeschaffung geliebäugelt. Von mehreren Seiten bekam ich den Hinweis auf Plasmaspenden, und einige Recherchen brachten zu Tage, dass es ein Spendenzentrum in meiner Heimatstadt gab. Schön war deren Werbeslogan: "Retten Sie Leben!" Etwas frech, wo doch allgemein bekannt ist, dass Blustplasma höchstens sehr indirekt Leben rettet. Es wird zu horrenden Preisen an die Pharmaindustrie verkauft, die damit überteuerte Medikamente entwickelt, die sie Schwellenländern oder HartzIV-Empfängern zu realistischen Preisen vorenthält und damit billigend in Kauf nimmt, dass nur die Reichen überleben.*
Nun ja, da ich quasi der HartzIV-Gruppe angehörte und Würde nicht zum Grundbedarf gehört, warf ich meine moralischen Bedenken über Bord und ging fröhlich zur Voruntersuchung, noch nicht ahnend, dass mein Körper moralisch konsequenter war als ich.
Die Voruntersuchung wurde von sehr freundlichem medizinischen Personal vorgenommen, an dem man als Patientin - nein, Kundin heißt das hier - wiederum die Vielfalt osteuropäischer Akzent-Varianten untersuchen konnte. Es war ein merkwürdiges Gefühl - meine körperliche Verwertbarkeit wurde überprüft. Und für gut befunden, ich durfte zum Verkaufen wiederkommen.
Gesagt, getan, ein paar Tage später lag ich mit etwa 40 MitstreiterInnen auf grünen Liegen herum und sah mit leichter Übelkeit dabei zu, wie ziemlich eklig gelb gefärbtes Plasma aus mir heraus gemolken wurde. Dazu wurde eine sehr dicke Nadel benutzt, die von einer jubelnden Schwester in mich hineingestochen wurde ("Nein, was haben Sie tolle Venen! Sonst findet man die bei jungen Frauen kaum! Aber wirklich schön ausgeprägt." Ich sag nur: Klettern. Bizepsader.) Nach etwa einer Stunde war der Spuk vorbei. Sehr freundliche Schwestern entfernten die Nadel und gaben mir den Hinweis, bitte noch ein paar Minuten liegen zu bleiben. Nach etwa einer Minute beschloss ich, dass das mit den "paar Minuten" nur für Weicheier gilt und sprang von der Melkliege, um mich abbinden zu lassen. Gemessenen Schritts ging ich in den Ausgangsbereich und wartete auf mein schickes Pflaster-Klebekreuz, da vor mir noch andere Pat- äh, Kunden dran waren. Kaum stand ich ruhig da, hörte ich ein merkwürdiges Rauschen in meinen Ohren, und die Sicht verschob sich etwas. Ich versuchte noch, möglichst souverän zu gucken, als die Schwester aufsah und fragte: "Alles in Ordnung?" Na gut, durchschaut. Ich hauchte noch "Neehe?", aber schon schallte die Stimme der Schwester durch den Raum: "22!", und mein wegknickender Körper wurde sanft aufgefangen und auf eine Liege drapiert. Gedemütigt lag ich nun im Ausgangsbereich herum, diesmal ohne Zeitschriften, und alle konnten sehen, dass ich zu schwach zum gemolken werden bin. Dabei habe ich sonst eine Konstitution wie ein Pferd, und ich bin noch nie ohnmächtig geworden. Immerhin gab es für eine solche Situation extra einen Code, also schien das Umkippen recht gängig zu sein.
Das Schlimmste daran aber erschien erst zwei Tage später: ein monstermäßiger blauer Fleck um die Einstichstelle herum. Was zum Teufel! Die doofe Null hatte meine Vene durchstochen (dabei war die schon so veritabel ausgeprägt, was machen die denn mit den normalen jungen Frauen? Nehmen die da eine Axt?), und alles Blut lief fleißig in mein Muskelgewebe, gerann und mein Arm sah so appetitlich wie Gammelfleisch aus. Fassen wir zusammen: Ich hatte Teile meines Körpers für 15 Euro verkauft, bin dafür ohnmächtig und gedemütigt worden, lag zwei Stunden sinnlos herum und sah eine Woche wie ein Prügelopfer aus. Fazit: lohnt sich nicht.
*Ist polemisch, aber des Pudels Kern!
sakra - 12. Dez, 11:35
Die Biathlon-Saison hat wieder angefangen! Ich sitze also wochenends jubelnd oder stöhnend auf dem Sofa, je nach Schießleistung der deutschen Mannschaft, und ziehe irritierte Blicke meiner Mitbewohnerinnen oder dem Besuch auf mich. Meine Eröffnung "Biathlon ist meine Lieblings-Sportart zum Zuschauen" wird stets mit betroffenem Schweigen aufgenommen, aber ich stehe dazu. Gut, so wirklich pazifistisch ist das alles nicht, aber ich vergleiche es auch lieber mit Jagd auf Skiern denn mit Krieg im Schnee.
Dafür war ich zum Ausgleich am Sonntag im Irish Pub zum Fussball gucken - extrem pazifistisch, extrem langweilig in diesem Fall und extrem unerfolgreich für die Mannschaft meines Herzens. Das muss auch noch recherchiert werden - wo in der großen neuen Stadt kann ich bitte die Spiele meiner Mannschaft verfolgen?
sakra - 8. Dez, 09:25
Da bin ich wieder, tatsächlich erholt und braungebrannt und mit neuem Job in der Tasche. Die Zusage erhielt ich praktischerweise 3 Tage vor Abflug, daher konnte ich mich rundum entspannen.
Aber ich habe nicht nur faul am Strand herum gelegen, nein, ich habe auch einiges gelernt. Zum Beispiel:
- Wenn man 10 Tage in einer Gegend herumlungert, für die das Wort "Geröllhalde" noch eher schmeichelhaft ist und die auf Grund ihrer Landschaft in Reiseführern als "bizarr" oder "dramatisch" beschrieben wird, dann hat diese eher spärlichen Pflanzenbewuchs zu bieten. Der ist dann auch höchstens kniehoch, was eine Frau vor nie gekannte Probleme stellt, wenn sie dringend mal muss, weit und breit keine sanitären Anlagen vorhanden sind, aber ein Sporthotel in der Nähe, das seine gefühlt 100.000 Besucher zum Joggen nach draußen schickt. Weil die Landschaft nicht so viel Abwechslung fürs Auge bietet, starren die Jogger einen an. Wer geht da schon gerne in die Knie und lässt die Hosen runter!
- In südlichen Ländern wirft man Toilettenpapier nicht in die Toilette. Verdränge ich jedesmal wieder, deshalb hier die schriftliche Fixierung.
- Die Fluggesellschaft hat sich gegen mich verschworen, denn sonst wäre so etwas schlicht nicht möglich: Beim Rückflug in Spanien habe ich fast den Flieger verpasst, weil ich zu lange meinen Kaffee auf der Aussichtsplattform geschlürft habe. Der "Last Call" ist mir nur aufgefallen, weil ich aus Langeweile auf die Lautsprecherdurchsagen gehört habe. Auf die höre ich sonst nämlich nie, weil ich so gut organisiert bin, dass ich alle Infos schon habe, bevor ich das Haus verlasse.
Beim Umsteigen in Nürnberg sagte der Mann am Boarding-Schalter: "Ah, da kommt die Letzte!"
Hui. Ich schwanke zwischen Stolz und Furcht. Entweder ist das hier so eine "sarathepara-Verschwörung" oder der Urlaub hat mich echt tiefen entspannt. Mal sehen, wie lange es anhält!
sakra - 5. Nov, 09:30
Wenn ich mich jetzt mit einem auskenne, sind es Ämter. Vier Anträge beschäftigen eine Bürgerin schon enorm - da sage noch einer, das ist geschenktes Geld! Nein, nein, das muss man sich schon verdienen. Der einzige Trost ist, dass für die meisten Anträge dieselben Unterlagen gebraucht werden. Da merkt man doch schnell, dass aus der Perspektive unseres Wohlfahrtsstaates ein Leben zusammenzufassen ist in Mietverträgen, Gehaltsnachweisen, Mietzahlungsnachweisen, Arbeitszeugnissen. Das wars, liebe Leute.
Fast schon irritierend ist auch, dass ich in allen Ämtern entgegen meiner Befürchtungen immer sehr freundlich und zügig behandelt wurde. Die ersten Male bin ich beinahe beleidigt wieder rausgestromert - umsonst hatte ich ein Buch mitgenommen, um mir die erwartete lange Wartezeit zu vertreiben. Umsonst einen Riegel Schokolade eingesteckt, um mich über die fiesen Sprüche der Beamten hinwegzutrösten. Kann mir nicht wenigstens am Ausgang noch jemand einen Tritt verpassen, damit ich mir erwartungsgemäß gedemütigt vorkommen? Nur ein klitzekleines bißchen unmenschliche Behandlung?
Nüscht. Na ja, warten wir es ab. Noch bin ich nicht beim ALGII angekommen.
sakra - 3. Nov, 10:54
Der größte Vorteil der Arbeitslosigkeit: ich habe Zeit.
Der größte Nachteil der Arbeitslosigkeit: ich habe Zeit.
So lange ich etwas zu tun habe, Leute treffe (und ich bin zumindest in der komfortablen Situation, relativ viele Studenten, im Schichtdienst Arbeitende oder Erwerbslose zu kennen, die manchmal auch tagsüber Langeweile haben oder zumindest willens sind, meiner Langeweile Abhilfe zu schaffen), ist auch alles gut. Aber wehe, ein Tag liegt leer ohne Aufgabe vor mir! Es ist wahnsinnig anstrengend, selbst Struktur in so einen Tag zu bringen. Aber die Flexibilität ist natürlich enorm. Gestern war ich einfach mal so einen Tag auf Sylt, konnte durch den heldenhaften Einsatz meines Lieblingsscrabblegegners ein Strandkorbticket in meinen Besitz bringen und fläzte somit windgeschützt in der Sonne herum, einen englischen Elizabeth-George-Krimi lesend und Kekse aus der Sylt-Bäckerei mümmelnd. Das war fein, und das i-Tüpfelchen des Ganzen war, dass Karl Dall auch in der Fußgängerzone war, als ich auf dem Rückweg zum Bahnhof war. Im Zug gabs dann Würstchen und Bier aus dem Supermarkt. Wenn ich mal Kinder habe, mache ich so was ständig mit denen!
So viel also zu den Vorteilen. Heute hänge ich so zu Hause rum, habe zu wenig Aufgaben für zu viel Zeit und habe auf einem kleinen Stadtbummel etwas erschrocken festgestellt, dass es meiner Laune gut tut, Unterwäsche zu kaufen. Eigentlich verdränge ich die kleine Tussi in mir sehr gerne, und mein Geld habe ich in letzter Zeit bevorzugt für Reisen ausgegeben, ich war wirklich lange nicht mehr shoppen. Daher war ich der festen Überzeugung, dass profaner Konsum keinesfalls meinen Seelenfrieden befördert. Tut er aber doch. Mist. Schon wieder eine Selbstbildkorrektur fällig, wie ärgerlich...
Meinen Jadgtrieb habe ich sonst in der Stadtbücherei ersatzbefriedigt. Es gibt fast nichts Schöneres, als den online-Katalog nach lange gesuchten Werken zu durchsuchen. Gefunden werden die Bücher fast immer, sind aber meist ausgeliehen. Vormerken wäre unsportlich und kostet auch noch einen Euro, also bitte! Die Herausforderung und der schönste Moment ist also, das Gewünschte im "ausleihfähig"-Status zu finden, und dann wie von der Tarantel gestochen in die entsprechende Abteilung zu sausen. Man weiß ja nie, wie viele gerade auf dieselbe Idee kommen! Dann fieberhaft suchen, finden, nach Hause nehmen, lesen.
Aktuell: Jonathan Littell. Schwere Kost, und das in JEDEM Sinne. Die Hardcover-Ausgabe wiegt laut Küchenwaage 1,5 Kilo - definitiv nichts für die Badewanne.
sakra - 8. Okt, 16:03