Jud Süß

Am Wochenende war ich in der Premiere von Jud Süß. Ich finde, das Prozedere drumherum war geradezu enttäuschend profan: Ich habe Karten für jeweils 5,90€ an der Kasse gekauft und dann konnte ich mitsamt Begleitung zur Premiere. Zwar war Moritz Bleibtreu angekündigt, aber der kam natürlich nicht. Ich habe mir allerdings bestätigen lassen, dass er wirklich ziemlich klein ist! Das Glamouröseste am Abend war, dass freie Platzwahl war und aus irgendwelchen ominösen Gründen sowohl meine Begleitung als auch ich uns gegenseitig Lollies mitgebracht haben. So gab es jeweils einmal Lakritz- als auch Brauselollies, die Mitbewohnerchen mit großen Augen staunend verspeiste ob der Brause, die da so rausschäumte.

Der Fim selber gefiel. Es geht um die Entstehung des Propagandafilmes "Jud Süß" unter joseph Göbbels, der den Juden an sich in seiner ganzen Abscheulichkeit darstellen sollte. Als Grundlage, allerdings extrem frei interpretiert, diente ein Roman von Lion Feuchtwanger, selber Jude und damit gleichzeitig indirekt Legitimator des Filmes. Allerdings dichtete der von Goebbels engagierte Veit Harlan als Regisseur etwa eine Vergewaltigungsszene hinzu, die in Feuchtwangers Vorlage nicht vorkam. Was ich persönlich nicht wusste: "Jud Süß" darf als Propagandamaterial in Deutschland nicht gezeigt werden, nur in einem bildungspolitischen Kontext nach Beantragung bei der Gesellschaft, die die Rechte für den Film besitzt.

Die Hauptfigur des Filmes ist der Hauptdarsteller des Filmes "Jud Süß", Ferdinand Marian, mittelerfolgreicher Schauspieler. Dieser ist politisch eher desinteressiert und fühlt sich den Regeln des Nationalsozialismus nicht verpflichtet. Seine freundschaftlichen Verbindungen zu Juden in der Theater- und Filmszene führen dazu, dass er nach Angebot der Rolle des Jud Süß dieses ablehnt. Letztendlich wird er jedoch von Goebbels dazu gezwungen. Der Film zeigt die Entstehung des Filmes, die anschließende Promotiontour und den darauffolgenden persönlichen und nach Ende des Krieges auch beruflichen Abstieg von Ferdinand Marian, begründet durch seine moralischen Nöte, da er mit dem Film gegen seine Überzeugungen verstößt.

Tobias Moretti als Ferdinand Marian war unfassbar großartig. Ich habe ihn nicht wiedererkannt, was wahrscheinlich auch gut war, da ich sonst die ganze Zeit "Kommissar Rex, Kommissar Rex" gedacht hätte, das hätte den Filmgenuss geschmälert.

Etwas merkwürdig ´fand ich Moritz Bleibtreu als Goebbels. Ich kann mich nicht entscheiden, ob er extrem unsubtil gespielt hat oder so subtil, dass ich es einfach nicht gemerkt habe, WIE subtil er war. Goebbels kam sehr überzogen, fast karikativ bei mir an. Viel Geschrei, affige Bewegungen, ein schleimiger Jovialismus - da kam bei mir die Frage auf, wie Goebbels von seinen Zeitgenossen ernst genommen werden konnte. Dazu ein extremer Wechsel mit kalter Berechnung und fiesem Druck, unterschwelligen Drohungen... Das widerum war glaubwürdig, aber trotzdem hat mich die Darstellung irritiert. Überhaupt die Darstellung von Nazis, egal wo der Film gedreht wurde: Warum lachen die immer so künstlich? Soll das irgendetwas aussagen? War in Inglourious Basterds auch so.

Ladies and Gentlemen, der Bechdel-Test! Wir erinnern die Kriterien: 1.Mindestens zwei (namentlich genannte) Frauen kommen in dem Film vor.
2.Sie reden miteinander …
3.… über ein anderes Thema als einen Mann.

1. Es kamen viele Ehefrauen, ein Hausmädchen und spätere Ehefrau sowie zahlreiche Geliebte vor. Das Frauenbild war etwas einseitig, aber die Frauen waren da und hatten oft einen Namen.
2. Sie sprachen vor allem auf Festen und Empfängen miteinander, aber zu Beginn sprach vor allem Marians Ehefrau öfter mal mit dem Hausmädchen.
3. Die beiden sprachen über Männer, das will ich nicht verhehlen, aber auch mal über den Haushalt. Der Small Talk auf den Empfängen handelte immerhin ab und zu von dem Film "Jud Süß", aber zumeist in dem Tenor: "Sie müssen sehr stolz auf Ihren Mann sein!"

Ich sage mal: höchstens knapp bestanden.

Mein Lesestoff


George R. R. Martin
Game of Thrones 4-Copy Boxed Set


Fred Vargas
Die Nacht des Zorns

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