Zu viel Realität

Mein Englischkurs findet am Hauptbahnhof statt. Das ist schön, das ist zentral, die Bücherei genau um die Ecke, fein, fein! So dachte ich.
Was aber genau zwischen der Bücherei und meiner Schule liegt, ist der örtliche Drückpunkt oder wie auch immer dies korrekt heißt – also ein Ort, an dem Drogensüchtige legal und unter Betreuung ihre Drogen konsumieren können. Ich fand und finde dies immer noch sehr sinnvoll. So wird der Konsum von Drogen von der Straße geholt, die Süchtigen haben ein geringeres Risiko für ihr Leben und ihre Gesundheit und ihre Würde wird geachtet. Deshalb habe ich nie verstanden, dass Anwohner sich gegen die Einrichtung dieser Stätten in der Nachbarschaft so sehr wehren. Drogensüchtige sind ein Teil unserer Gesellschaft, und man sollte sich dem stellen. Außerdem tun die ja nichts.

Ja,ja, so dachte ich, aber ich muss mich ein wenig korrigieren. Auf dem Weg zum Englischkurs und in den Pausen gibt mir die Realität die volle Dröhnung. Eine Frau, recht seriös gekleidet, die sich im strahlenden Sonnenschein auf allen vieren einen Baum sucht, an dem sie sich den Finger in den Hals steckt. Ein völlig zugedröhnter Mann, der lallend an einer Häuserwand steht. Eine Frau, die irre kichernd vor der Schule schwankt und stürzt. Und das an jedem Tag, nicht ab und zu. Nein, das ist nicht schön.

Ich bemerke, dass ich das nicht sehen will, vor allem nicht in dieser Konzentration. Es macht mich wütend, weil ich weiß, dass diese Leute früher oder später an ihrer Sucht sterben werden und man nichts dagegen tun kann. Es macht mich auch wütend, dass ich das nicht sehen will, dass ich genauso einfach gestrickt bin wie der durchschnittliche CDU-Wähler und meine Toleranz nur bis zu dem reicht, das ich nicht sehen kann. Das alles führt zu einer fast körperlichen Ablehnung der Situation, wenn ich am Eingang des Drückpunktes vorbeilaufe.
Es gibt schönere Wege, um den Tag zu beginnen. Wieder etwas über mich gelernt.
Talakallea Thymon - 10. Mai, 12:31

Die Auffassung von Drogenabhängigen als Drogenkranken und damit hilfe- und schutzbedürftigen Menschen kann das Stigma fortnehmen und vielleicht, zur eigenen Anschauung geworden, auch die Ablehnung überwinden helfen.

Andererseits gelten auch für einen kranken Menschen bestimmte Normen, von denen er sich nicht durch Verweis auf seine Krankheit freisprechen kann: Mit einer Hauterkrankung oder einer offenen Wunde geht man ja auch nicht ins öffentliche Bad. Auch für (Drogen-)Kranke gibt es eine Grenze dessen, was sie anderen Menschen noch zumuten dürfen.

Eine Vollegalisierung aller Drogen (mit Rezeptpflicht) sowie ein Einnehmen derselben unter ärztlicher Betreuung würde die Problematik enorm entschärfen -- dem steht aber nach wie vor eine quasi-ideologische Auffassung der Drogenkrankheit als Sucht, an der die Betroffenen letztlich selber schuld seien (Stichwort "Willensschwäche" und dergleichen), und eine Stigmatisierung derer, die den Kampf gegen ihre persönliche Droge einfach nicht gewinnen, entgegen.

Mein Lesestoff


George R. R. Martin
Game of Thrones 4-Copy Boxed Set


Fred Vargas
Die Nacht des Zorns

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