Dienstag, 10. Mai 2011

Zu viel Realität

Mein Englischkurs findet am Hauptbahnhof statt. Das ist schön, das ist zentral, die Bücherei genau um die Ecke, fein, fein! So dachte ich.
Was aber genau zwischen der Bücherei und meiner Schule liegt, ist der örtliche Drückpunkt oder wie auch immer dies korrekt heißt – also ein Ort, an dem Drogensüchtige legal und unter Betreuung ihre Drogen konsumieren können. Ich fand und finde dies immer noch sehr sinnvoll. So wird der Konsum von Drogen von der Straße geholt, die Süchtigen haben ein geringeres Risiko für ihr Leben und ihre Gesundheit und ihre Würde wird geachtet. Deshalb habe ich nie verstanden, dass Anwohner sich gegen die Einrichtung dieser Stätten in der Nachbarschaft so sehr wehren. Drogensüchtige sind ein Teil unserer Gesellschaft, und man sollte sich dem stellen. Außerdem tun die ja nichts.

Ja,ja, so dachte ich, aber ich muss mich ein wenig korrigieren. Auf dem Weg zum Englischkurs und in den Pausen gibt mir die Realität die volle Dröhnung. Eine Frau, recht seriös gekleidet, die sich im strahlenden Sonnenschein auf allen vieren einen Baum sucht, an dem sie sich den Finger in den Hals steckt. Ein völlig zugedröhnter Mann, der lallend an einer Häuserwand steht. Eine Frau, die irre kichernd vor der Schule schwankt und stürzt. Und das an jedem Tag, nicht ab und zu. Nein, das ist nicht schön.

Ich bemerke, dass ich das nicht sehen will, vor allem nicht in dieser Konzentration. Es macht mich wütend, weil ich weiß, dass diese Leute früher oder später an ihrer Sucht sterben werden und man nichts dagegen tun kann. Es macht mich auch wütend, dass ich das nicht sehen will, dass ich genauso einfach gestrickt bin wie der durchschnittliche CDU-Wähler und meine Toleranz nur bis zu dem reicht, das ich nicht sehen kann. Das alles führt zu einer fast körperlichen Ablehnung der Situation, wenn ich am Eingang des Drückpunktes vorbeilaufe.
Es gibt schönere Wege, um den Tag zu beginnen. Wieder etwas über mich gelernt.

Montag, 2. Mai 2011

Schulbank

Heute begann mein Englisch-Kurs, finanziert von der Arbeitsagentur: Business-Englisch für Akademiker, 8 Wochen, täglich von 8 bis 15 Uhr. Yeah, Struktur in meinem Alltag!

Als eingefleischte Soziologin begann ich sofort mit Statistiken. Die männlichen Teilnehmer waren größtenteils um die 40, nur zwei Männer lagen deutlich unter diesem Alter. Die Frauen dagegen waren zumeist Ende 20/Anfang 30, nur zwei Frauen waren deutlich älter. Es gab vier Teilnehmer/innen mit Migrationshintergrund. Die Frauen setzten sich, als es noch freie Platzwahl gab, alle frontal zum Lehrertisch (Ich auch, aber in die letzte Reihe, ist ja wohl klar), die Männer an die Seitentische.

Ich musste die Strichlisten aufgeben, als der Einstufungstest begann. 57 Multiple-Choice-Aufgaben zum Thema englische Grammatik, die sofort und vor Ort korrigiert wurden, was in mir großes Bibbern auslöste. Ich bestand mit Anstand - zwei ältere Männer mussten allerdings gehen. In der Folge war dann das Geschlechterverhältnis ausgeglichen, ganz ohne Quote, nur auf Grund von Leistungen! Dolles Ding.

Jetzt ist mein Gehirn allerdings Matsch. Sechs Stunden komplett auf Englisch haben es ausgelaugt. Immerhin hat sich meine Vermutung bestätigt, dass mein Verständnis sehr gut ist und meine Formulierungsfähigkeit begrenzt, aber relativ flüssig. Ich nehme stark an, dass das in 8 Wochen stetig besser werden wird und freue mich auf meinen ersten Traum in Englisch.

Zwischenlösung 1 ist somit angetreten.

Zwischenlösung 2, die Wohnsituation betreffend, hat nun auch begonnen. Positiv: mit meinen Möbeln drin sieht mein neues Zimmer recht manierlich aus, und mein neuer Mitbewohner ist ganz süß. Bad, Küche und Verkehrsanbindung behandele ich nach der Maxime: Augen zu und durch. Ist ja Sommer, da ist man nicht so oft zu Hause. Wieso ist das eigentlich so kalt da draußen?

Nun können die Optimallösungen kommen, recht herzlichen Dank!

Freitag, 29. April 2011

Tetris

Meine Habseligkeiten passen exakt in einen Mercedes Sprinter, und das seit 4 Jahren und vier Umzügen.

Und man weiß, dass man erfolgreich in einer Stadt angekommen ist, wenn man sieben Umzugshelfer zusammenbekommt - obwohl vier potentielle Helfer nicht dabei waren.

Danke schön!

Mittwoch, 27. April 2011

Vorsicht, Füße!

Ich habe eine ganz merkwürdige Beziehung zu Finger- und Zehennägeln. Ja, jetzt wird es körperlich! Ich schüttele mich jetzt schon, doch ich muss es niederschreiben. Therapie, ihr wisst schon, aber die empfindlichen Gemüter dürfen nun weggucken.

Ich halte in Horrorfilmen so einiges aus. Füße absägen, Zähne bohren, Messer in Leute reinstechen, Kettensägen an ihnen ausprobieren, peitschen, alles kein Problem. Da lache ich kurz und trocken auf und mümmele weiter mein Popcorn. Anders sieht es aus, wenn eben Finger- und Zehennägel im Spiel sind. Ich sah vor einigen Jahren "Texas Chainsaw Massacre" (mit Jessica Biel, die ich einfach nicht ertrage, aber dazu ein anderes Mal vielleicht mehr), und der Film war ein bisschen belanglos, das Schönste war die kleinste Schwester neben mir, die ständig zuckte und quietschte und sich die Hände vor die Augen hielt. Es gab nur eine Szene, die mich in Angst und Schrecken versetzte: das Opfer wird eine Kellertreppe hinuntergeschleift, Zoom auf die Wand: da hängt ein Fingernagel. Kreisch! Auch die Foltermethode mit dem Rausreissen lässt mich zuckend zu Boden sinken, und der Spruch "Da klappen sich mir die Zehennägel hoch" führt bei mir zu Zähneknirschen.

Und dann das. Nach dem Klettern vor einer Woche schaute ich mir meine Füße an, die ein wenig schmerzten, und bemerkte, dass der Zehennnagel des kleinsten Zehs so merkwürdig weiß war. Der ganze Nagel. Eine genauere Untersuchung ergab, dass er sich am unteren Rand von der Nagelwurzel löste. Ich hyperventilierte, schaute schnell weg und hoffte, dass er sich von selbst repariert. Der Verräter tat natürlich nichts dergleichen - vorgestern Nacht wachte ich auf, weil mein Nagel sich an der Bettdecke verfing und pulte ihn im Halbschlaf ab.

Jetzt habe ich nur noch einen kleinen Zehennagel.

Das ist so schrecklich. Mir graust es vor meinen eigenen Füßen. Ich hoffe, er wächst nach, aber da ich ihn nie wieder ansehen werde, werde ich es nie erfahren.

Haaaaah.

Donnerstag, 21. April 2011

Die Halbgötter in Weiß

Schwesterchen hat sich von ihrem Nepal-Urlaub eine immerhin so interessante Krankheit mitgebracht, dass sie in die Tropenabteilung des hiesigen UKs eingeliefert wurde und dekorativ gelb im Bett herumliegt. Auch ihre Augen leuchten golden. Nach Tagen ist immerhin klar, dass sie Hepatitis E hat und auf dem Wege der Besserung ist.

Vorgestern war ich nach einer Verlegung ihrerseits zu Besuch. Als ich mich gerade in die virensichere Kleidung hineinpule (Kittel, Handschuhe, Mundschutz - "Ich bin deine Schwester!"), kommt der Oberarzt zu Besuch, im Schlepptau eine Bagage junger Menschen in Weiß. Frage an die Schwester (meine Schwester, nicht die im Krankenhausdienst): "Stört es Sie, wenn ich ein paar Studenten mitbringe? So einen Fall haben wir hier auch nicht jeden Tag." Ich war gebührend beeindruckt. Meine Familie! Die haben es halt drauf!

Dann wurde es wie im Fernsehen, nur besser. Der Chefarzt quält die Studenten mit Fragen, die Studenten haben Angst und sabbeln dummes Zeug. Ich verstehe nicht alles, habe aber meinen Spaß. "So, und was machen Sie dann als nächstes?" Schweigen. Endlich traut sich einer: "Eine Gallenendoskopie?"*Der Arzt zuckt. "Wie bitte? Wozu soll DAS denn gut sein? Sie haben hier eine Leberinfektion. Was sagt uns denn bitte eine Gallenendoskopie? Doch nur, wie die Galle gerade funktioniert, aber das hängt doch nicht zusammen!!!" Schweigen. Der Arzt, schwer seufzend: "Fieber messen. Fieber messen ist wichtig." Unruhe bei den Studenten, die offensichtlich davon ausgehen, dass das die Krankenschwester dann schon gemacht haben wird. So geht das Spiel etwa eine Viertelstunde, die Studenten bauen ab und sehen ihre Zukunft am Tropeninstitut schwinden. Das Publikum zweifelt an der Qualität des Medizinstudiums. Der Arzt holt zum Schlusswort aus: "Also wirklich, Sie sind in einem halben Jahr fertig, dann müssen Sie das wissen!" Nun ist es an mir zu zucken. In einem halben Jahr fertig? Gott bewahre, dass ich in einem halben Jahr hier ins Krankenhaus muss. Ich weiß jetzt, wie Jungärzte sich mit Hepatitis auskennen. Aargh.

Der Dank des Arztes geht an die Patientin, sie sei ein lehrreicher Fall. Meine Familie!


*alle medizinischen Fachausdrücke ohne Gewähr, außer Hepatitis E. Das habe ich mir fehlerfrei merken können.

Freitag, 15. April 2011

Atom, Atom, ein Lichtlein brennt

Anscheinend bin ich in mancher Hinsicht etwas unsensibel. Kürzlich war ich Kaffee trinken mit zwei Bekannten, und das Thema kam auf den GAU in Japan. Beide Frauen merkten mit bebender Stimme an, wie sehr sie die Ereignisse emotional mitnehmen würden, wie traurig sie seien und dass sie an nichts anderes denken könnten ("Ich würde auf jeden Fall auch Kinder aus Japan aufnehmen, die mal rausmüssen und was Schönes erleben müssen!", Zitat Frau A.). Etwas unruhig saß ich daneben. Erstens hatte ich keine Lust, in den Wettbewerb, wer am traurigsten sei, einzusteigen. Zweitens bin ich gar nicht traurig. Drittens ging mir das nach einer halben Stunde so auf die Nerven, dass ich innerlich und äußerlich einen Themenwechsel herbeiwünschte - erfolglos. Die japanischen Kinder, ihr wisst schon.

Versteh ich nicht. Beide Damen mag ich sehr, eigentlich zeichnen sie sich durch recht vernünftige Ansichten aus. Wo kommt das her? Haitianischen Kindern hätten sie sicher kein Obdach gewährt, ganz abgesehen, dass sie um deren Häuser geweint hätten. Aber ach, vielleicht liegt es an mir. Manchmal bin ich ja ganz dankbar für meine Distanzierungsfähigkeit.

Generell sehe ich natürlich den Unsinn von Atomkraftwerken ein, vor allem, da ich seit Mittwoch folgende Zahlen kenne, die mir bis dato unbekannt waren:

Das Uran, das offensichtlich für die Atomspaltung nötig ist, wird noch für etwa 150 Jahre reichen. Die radioaktiven Abfälle müssen 1 Million Jahre gelagert werden, bis sie nicht mehr strahlen. Merkt jemand die Unverhältnismäßigkeit?

Die Argumentation, dass Atomstrom somit unendlich verfügbar sei und sauber hergestellt wird, geht damit jedenfalls schon mal flöten. 1 Million Jahre. Da gibts ja die Erde wahrscheinlich gar nicht mehr. Da könnte ich allerdings auch heulen.

Dienstag, 12. April 2011

Schubladen

Klettern, vor allem vormittags, wenn es noch nicht so so voll ist, bietet wunderbare Gelegenheiten zu soziologischen Feldbeobachtungen über Kletterer. Mein Kletterpartner T. ist außerdem Pädagoge und hilft mir dabei, die Beobachtungsobjekte wissenschaftlich fundiert zu klassifizieren.
Folgende Typen wurden bisher eruiert.

- Der Poser-Typ. Er ist ziemlich wichtig und meistens männlich. Besondere Merkmale: raumgreifender Gang, laute Kommentare über die Streckenführungen der einzelnen Routen, am liebsten zu den Schraubern oder jungen Mädchen. Kommuniziert nur mit ebendiesen. Der Poser hat natürlich immer ein dolles Equipment, gerne schon abgenudelt, um seine Erfahrung zu demonstrieren. Temperaturen über 13 Grad Celsius sind ein willkommener Anlass, sich das T-Shirt vom Leib zu reißen und seinen gestählten Oberkörper zu demonstrieren. Meistens klettert er gut oder glaubt dies zumindest.

- Der latente Poser-Typ. Ein Untertyp des Posers und ein wenig öfter unter den Frauen zu finden - er weiß um die Problematiken des Poser-seins (alle finden Poser doof) und versucht das, in den Griff zu bekommen. Trotzdem kann er nicht auf alles verzichten, er muss ab und zu zeigen, was für ein kerniger Kerl in ihm steckt. Daher passieren ihm oft Ausrutscher wie etwa das Anbiedern an das Hallenpersonal oder das Herunterreißen der Oberbekleidung (bei Männern) oder demonstrativ enge Sportshirts (bei Frauen). Ist meist etwas jünger als der Poser und sucht noch seinen Weg.

- Der kontaktfreudige Typ. Oft Frauen. Geben unbekannten Kletterern gerne ungefragt Tipps ("Ah ja, der Einstieg da ist schwierig. Ich zeig dir das mal."), mischen sich in Gespräche von Fremden ein ("Haha, ja, das habe ich auch schon mal so gemacht!"), texten einen nackig in der Umkleide zu und schreien ihren Kletterpartnern Hilfestellungen zu, auch wenn diese schon in zehn Metern Höhe gar nichts mehr verstehen. Macht ja nichts, das Geschrei dürfen sich dann die anderen anhören, die profitieren ja auch davon.

- Der Familien-Typ. Kommt in 4er-Familien-Kombos mit 4 Kleinkindern und drei Babys im Schlepptau, breitet sich genüsslich auf den Bänken aus und fängt an, die Babys zu wickeln und Essen zu verteilen. Derweil spielen die lieben Kleinen im Kiesbett und lernen schon mal, mit der Gefahr des baldigen Todes umzugehen, weil ab und zu Kletterer von der Wand fallen und im Kiesbett landen könnten. Der Familien-Typ nutzt die viele Zeit, die das Familien-Klettern ihm gibt, mindestens fünf Seile an die Wand zu bringen und dort hängen zu lassen. Danach ist Pause angesagt- die Familie muss bespasst werden, weitere Babys gewickelt, mehr gegessen werden. Wenn andere Kletterer klettern möchten, müssen sie sehr lieb und nett bitten, die Seile von der Wand nehmen zu dürfen, da ihnen sonst Familienfeindlichkeit nachgesagt wird.
Wahrscheinlich ist der Familientyp das Ergebnis einer Paarung von latenten Posern und Kontaktfreudigen.

Die Liste wird fortgesetzt!

Freitag, 8. April 2011

Software

Tätigkeiten, die sich anbieten, während man mit dem Mitbewohner in Berlin per facebook-Support und Netzwerkzugriff den neuen flashplayer auf die Linux-Distribution installieren will:

- Spliss schneiden
- Salat vorbereiten
- Blog-Einträge schreiben
- duschen
- Apfel essen
- Spiegel online komplett durchlesen
- für den Wochenendtrip packen

Die Vorbereitungen zum Gucken von Germanys Next Topmodel waren auch schon mal weniger umfangreich.

Mein Lesestoff


George R. R. Martin
Game of Thrones 4-Copy Boxed Set


Fred Vargas
Die Nacht des Zorns

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